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|titel=Auf zwei Planeten
|autor=Kurd Laßwitz
|teil=1
|Kap-1-titel=Am Nordpol
|Kap-1=Eine Schlange jagt über das Eis…

Für jedes Folgende Kapitel dann zum Beispiel Kap-2-titel und Kap-2 verwenden. Momentan kann man maximal 6 Kapitel einpflegen. Solltest du einmal mehr benötigen hinterlasse bitte hier eine kurze Nachricht. Als Beispiel für die Formatierung findest du folgend die ersten Kapitel des Romans Auf zwei Planeten von Kurd Laßwitz. Der Roman selbst ist Gemeinfrei.


Auf zwei Planeten

von Kurd Laßwitz

Kapitel 1: Am Nordpol

Eine Schlange jagt über das Eis. In riesiger Länge ausgestreckt schleppt sie ihren dünnen Leib wie rasend dahin. Mit Schnell­zugsgeschwindigkeit springt sie von Scholle zu Scholle, die gähnende Spalte hält sie nicht auf, jetzt schwimmt sie über das offene Wasser eines Meeresarms und schlüpft gewandt über die hier und da sich schaukelnden Eisberge. Sie gleitet auf das Ufer, unaufhaltsam in gerader Richtung, direkt nach Norden, dem Gebirge entgegen, das am Horizont sich hebt. Es geht über die Gletscher hin nach dem dunklen Felsgestein, das mit weiten Flecken bräunlicher Flechten bedeckt mitten unter den Eismassen sich emporbäumt. Wieder schießt die Schlange in ein Tal hinab. Zwischen den Felsbrocken sproßt es grün und gelblich, Sauerampfer und Saxifragen schmücken den Boden, die spärlichen Blätter eines Weidenbuschs zerstieben unter dem Schlag des mit rasender Geschwindigkeit hindurchfah­ renden Schlangenleibes. Eilend entflieht eine einsame Schnee­ ammer, erschrocken und brummend erhebt sich aus seinem Schlummer der Eisbär, dem soeben die Schlange das zottige Fell gestreift hat.

Die Schlange kümmert sich nicht darum; während ihr Schweif über die nordische Sommerlandschaft hinjagt, hebt sie ihr Haupt hoch empor in die Luft, der Sonne entgegen. Es ist kurz nach Mitternacht, eben hat der neunzehnte August begonnen.

Schräg fallen die Strahlen des Sonnenballs auf die Abhänge des Gebirges, das unter der Einwirkung des schon monatelang

Kapitel 2: Das Geheimnis des Pols

Langsam zog der Ballon weiter, doch bewegte er sich nicht di­rekt auf die auffallende kleine Insel zu, sondern sie blieb rechts von seiner Fahrtrichtung liegen.

Während Grunthe die Landmarken aufnahm und Torm die Instrumente ablas, suchte Saltner, dem die photographi­sche Festhaltung des Terrains oblag, die Gegend mit seinem vorzüglichen Abbéschen Relieffernrohr ab. Dasselbe gab eine sechzehnfache Vergrößerung und ließ, da es die Augendistanz verzehnfachte, die Gegenstände in stereoskopischer Körper­lichkeit erscheinen. Sie hatten sich jetzt der Insel soweit genä­hert, daß es möglich gewesen wäre, Menschen, falls sich solche dort hätten befinden können, mit Hilfe des Fernrohrs wahr­zunehmen.

Saltner schüttelte den Kopf, sah wieder durch das Fernrohr, setzte es ab und schüttelte wieder den Kopf.

Meine Herren, sagte er jetzt, entweder ist mir der Champagner in den Kopf gestiegen –

Die zwei Glas, Ihnen? fragte Torm lächelnd.

Ich glaub es auch nicht, also – oder

Oder ? Was sehen Sie denn?

Es sind schon andere vor uns hier gewesen.

Unmöglich! riefen Torm und Grunthe wie aus einem Munde.

Die bisherigen Berichte wissen nichts von einer derartigen Insel – unsere Vorgänger sind offenbar gar nicht über das Ge­birge gekommen, fügte Torm hinzu. Sehen Sie selbst, sagte Saltner und gab das Fernrohr an Torm. Er selbst und Grunthe benutzten ihre kleineren Feld­stecher. Torm blickte gespannt nach der Insel, dann wollte er etwas sagen, zuckte aber nur mit den Lippen und blieb völlig stumm.

Saltner begann wieder: Die Insel ist genau kreisförmig – das haben wir schon bemerkt. Aber jetzt sehen Sie, daß gerade im Zentrum sich wieder ein dunkler Kreis von – sagen wir – vielleicht hundert Metern Durchmesser befindet.

Allerdings, sagte Grunthe, aber es ist nicht nur ein Kreis, sondern eine zylindrische Öffnung, wie man jetzt deutlich sehen kann. Und um den Rand derselben führt eine Art Brüstung.

Und nun suchen Sie einmal den Rand der Insel ab. Was sehen Sie?

Mein Glas ist zu schwach, um Einzelheiten zu erkennen.

Ich habe gesehen, was Sie wahrscheinlich meinen, sagte Torm.

Aber was ist das, unterbrach er sich, der Ballon ändert seine Richtung?

Er gab das Glas an Grunthe und wandte seine Aufmerksamkeit dem Ballon zu. Dieser wich nach rechts von seinem bisherigen Kurse ab. Er bewegte sich parallel mit dem Ufer der Insel, diese in sich gleichbleibender Entfernung umkreisend.

Wir wollen uns überzeugen, daß wir dasselbe meinen, sagte Grunthe. Rings um die Insel zieht sich ein Kreis von pfeiler- oder säulenartigen Erhöhungen in gleichen Abständen.

Es stimmt, sagten die andern.

Ich habe sie gezählt, bemerkte Torm, es sind zwölf große, dazwischen je elf kleinere, im ganzen hundertvierundvierzig.

Und der seltsame Reflex über der ganzen Insel?

Wissen Sie, es sieht aus, als wäre die ganze Insel mit einem Netz von spiegelnden metallischen Drähten oder Schienen überzogen, die wie die Speichen eines Rades vom Zentrum nach der Peripherie laufen.

Ja, sagte Torm, indem er sich einen Augenblick erschöpft niedersetzte, und Sie werden gleich noch mehr sehen, wenn Sie länger hinschauen. Ich will es Ihnen sagen. Seine Stimme klang rauh und heiser. Was Sie dort sehen, ist der Nordpol der Erde – aber, wir haben ihn nicht entdeckt.

Das fehlte gerade, fuhr Saltner auf. Dafür sollten wir uns in diesen pendelnden Frierkasten gesetzt haben? Nein, Kapitän, entdeckt haben wir ihn, und was wir da sehen, ist kein Menschenwerk. So verrückt wäre doch kein Mensch, hier Drähte zu spannen! Eher will ich glauben, daß die Erdachse in ein großes Velozipedrad ausläuft, und daß wir wahrhaftig berufen sind, sie zu schmieren! Nur nicht den Mut verlieren!

Wenn es nicht Menschen sind, sagte Torm tonlos, und ich weiß auch nicht, wie Menschen dergleichen machen sollten, und warum, und wo sie herkämen – das hätte man doch erfahren – so – eine Täuschung ist es doch nicht – so steht mir der Verstand still.

Na, sagte Saltner, Eisbären werden’s nicht gemacht haben, obgleich ich mich jetzt über nichts mehr wundern würde, und wenn gleich ein geflügelter Seehund käme und ›Station Nordpol‹ ausriefe. Aber es könnte doch vielleicht eine Naturerscheinung sein, ein merkwürdiger Kristallisationsprozeß – – Sakri! Jetzt hab ich’s. Das ist ein Geysir! Ein riesiger Geysir!

Nein, Saltner, erwiderte Torm, das habe ich auch schon gedacht – ein Schlammvulkan könnte etwa eine ähnliche Bildung zeigen. Aber – Sie haben wohl das Eigentliche, die Hauptsache, das – Unerklärliche noch nicht gesehen –

Was meinen Sie?

Ich hab’ es gesehen, sagte jetzt Grunthe. Er setzte das Fernrohr ab. Dann lehnte er sich zurück und runzelte die Stirn. Auch um die fest zusammengezogenen Lippen bildeten sich Falten, daß sein Mund aussah wie ein in Klammern gesetztes Minuszeichen. Er versank in tiefes, sorgenvolles Nachdenken.

Saltner ergriff das Glas.

Achten Sie auf die Färbungen am Boden der ganzen Insel! sagte Torm zu ihm.

Es sind Figuren! rief Saltner.

Ja, sagte Torm. Und diese Figuren stellen nichts anderes dar als ein genaues Kartenbild eines großen Teils der nörd­lichen Halbkugel der Erde in perspektivischer Polar­projektion. Sie sehen deutlich den Verlauf der grönländischen Küste, Nordamerika, die Beringstraße, Sibirien, ganz Europa – mit seinen unverkennbaren Inseln und Halbinseln, das Mittelmeer bis zum Nordrand von Afrika, wenn auch stark verkürzt.

Es ist kein Zweifel, sagte Saltner. Die ganze Umgebung des Pols ist in einem deutlichen Kartenbild in kolossalem Maßstab hier abgezeichnet, und zwar bis gegen den 30. Breitengrad.

Und wie ist das möglich?

Die Frage fand keine Antwort. Alle schwiegen.

Inzwischen hatte der Ballon eine fast vollständige Umkreisung der Insel vollzogen. Aber er hatte sich derselben auch noch um ein Stück genähert. Es war klar, daß er durch eine unbekannte Kraft, wohl durch eine wirbelförmige Bewegung der Luft, um die Insel herumgeführt und zugleich nach der Achse des Wirbels, die von der Mitte der Insel ausgehen mochte, zu ihr hingezogen wurde.

Torm unterbrach das Schweigen. Wir müssen einen Entschluß fassen, sagte er. Wollen die Herren sich äußern.

Ich will zunächst einmal, begann Saltner, diese merkwürdige Erdkarte photographieren. Sie scheint ziemlich richtig selbst in Details zu sein. Daß sie nicht von Menschenhand herrühren kann, sehen wir daraus daß auch die noch unbekannten Gegenden des Polargebietes dargestellt sind. Die innere Öffnung, bei welcher die Karte abbricht, entspricht in ihrem Umfange etwa dem 86. Breitengrade; es fehlen also – für uns leider – die nächsten vier Grade um den Pol herum.

Selbstverständlich, sagte Torm, müssen Sie die Karte photographieren. Wir dürfen nicht mehr zweifeln, ein Werk intelligenter Wesen vor uns zu haben, wenn ich mir auch nicht erklären kann, wer diese sein mögen. Aber wenn das richtig ist, was wir kontrollieren können, so müssen wir schließen, daß auch die Teile des Polargebietes nach den Nordküsten von Amerika und Sibirien hin zuverlässig dargestellt sind. Und dann hätten wir mit einem Schlage eine vollständige Karte dieses bisher unerforschten Polargebietes.

Nun, ich denke, wir können mit diesem Erfolg schon zufrieden sein. Und bedenken Sie, wie nützlich die Karte für unsere Rückkehr werden kann. So –, damit brachte Saltner die photographische Kammer wieder an ihren Platz, ich habe drei sichere Aufnahmen. Aber der Ballon bewegt sich ja schneller?

Ich glaube auch, sagte Torm. Ich bitte nun um die Meinung der Herren, sollen wir eine Landung auf der Insel wagen, um dieses Geheimnis zu erforschen?

Ich meine, äußerte sich Saltner, wir müssen es versuchen. Wir müssen zusehen, mit wem wir es hier zu tun haben.

Gewiß, sagte Torm, die Aufgabe ist verlockend. Aber es ist zu befürchten, daß wir zuviel Gas verlieren, daß wir vielleicht die Möglichkeit aufgeben, den Ballon weiter zu benutzen. Was meinen Sie, Dr. Grunthe?

Grunthe richtete sich aus seinem Nachsinnen auf. Er sprach sehr ernst: Unter keinen Umständen dürfen wir landen. Ich bin sogar der Ansicht, daß wir alle Anstreng­ungen machen müssen, um uns so schnell wie möglich von diesem gefähr­lichen Punkt zu entfernen.

Worin sehen Sie die Gefahr?

Nachdem wir die eigentümliche Ausrüstung des Pols und die Abbildung der Erdoberfläche gesehen haben, ist doch kein Zweifel, daß wir einer gänzlich unbekannten Macht gegenüberstehen. Wir müssen annehmen, daß wir es mit Wesen zu tun bekommen, deren Fähig­keiten und Kräften wir nicht gewachsen sind. Wer diesen Riesen­apparat hier in der unzugänglichen Eiswüste des Polargebiets aufstellen konnte, der würde ohne Zweifel über uns nach Gutdünken verfügen können.

Nun, nun, sagte Torm, wir wollen uns darum nicht fürchten.

Das nicht, erwiderte Grunthe, aber wir dürfen den Erfolg unserer Expedition nicht aufs Spiel setzen. Vielleicht liegt es im Interesse dieser Polbewohner, den Kulturländern keine Nachricht von ihrer Existenz zukommen zu lassen. Wir würden dann ohne Zweifel unsere Freiheit verlieren. Ich meine, wir müssen alles daransetzen, das, was wir beobachtet haben, der Wissenschaft zu übermitteln und es dann späteren Erwägungen überlassen, ob es geraten scheint und mit welchen Mitteln es möglich sei, das unerwartete Geheimnis des Pols aufzulösen. Wir dürfen uns nicht als Eroberer betrachten, sondern nur als Kundschafter.

Die andern schwiegen nachdenklich. Dann sagte Torm:

Ich muß Ihnen recht geben. Unsere Instruktion lautet allerdings dahin, eine Landung nach Möglichkeit zu vermeiden. Wir sollen mit möglichstes Eile in bewohnte Gegenden zu gelangen suchen, nachdem wir uns dem Pol soweit wie angänglich genähert und seine Lage festgestellt haben, und wir sollen versuchen, einen Überblick über die Verteilung von Land und Wasser vom Ballon aus zu gewinnen. Dieser Gesichtspunkt muß entscheidend sein. Wir wollen also versuchen, von hier fortzukommen.

Aber nach welcher Richtung? fragte Saltner. Darüber könnte uns die Polarkarte der Insel Auskunft geben.

Ich fürchte, entgegnete Torm, von unserm guten Willen wird dabei sehr wenig abhängen. Wir müssen abwarten, was der Wind über uns beschließen wird. Zunächst lassen Sie uns versuchen, diesem Wirbel zu entfliehen.

Inzwischen hatte sich der Ballon noch mehr der Insel genähert, und seine Geschwindigkeit begann zu wachsen. Zugleich aber erhob er sich weiter über den Erdboden.

Die Luftschiffer spannten nun das Segel auf und gaben ihm eine solche Stellung, daß der Widerstand der Luft sie nach der Peripherie des Wirbels treiben mußte. Da aber der Ballon viel zu hoch schwebte, als daß das Schleppseil seine hemmende Wirkung hätte ausüben können, so mußte das Manöver zuerst versagen. In immer engeren Spirallinien aufsteigend näherte sich der Ballon dem Zentrum des Wirbels und vermehrte seine Geschwindigkeit. In großer Besorgnis verfolgten die Luftschiffer den Vorgang. Sie beeilten sich, die Länge des Schlepptaus zu vergrößern. Ihre vorzügliche Ausrüstung gestattete ihnen, ein Schlepptau von tausend Metern Länge zu verwenden, an welches noch ein hundertundfünfzig Meter langer Schleppgurt mit Schwimmern kam. Aber auch diese stattliche Ausdehnung des Seiles reichte nicht bis auf die Oberfläche des Wassers.

Es bleibt nichts übrig, rief Torm endlich, wir müssen weiter niedersteigen.

Er öffnete das Manöverventil. Das Gas strömte aus. Der Ballon begann zu sinken.

Wir wollen aber, sagte Torm, da wir nicht wissen, wie wir hier davonkommen, doch versuchen, eine Nachricht nach Hause zu geben. Lassen Sie uns einige unserer Brieftauben absenden. Jetzt ist der geeignete Moment. Was wir gesehen haben, muß man in Europa erfahren.

Eilends schrieb er die nötigen Notizen auf den schmalen Streifen Papier, den er zusammenrollte und in der Federpose versiegelte, welche den Brieftauben angeheftet wurde.

Saltner gab den Tierchen die Freiheit. Sie umkreisten wiederholt den Ballon und entfernten sich dann in einer Richtung, die von der Insel fortführte.

Torm schloß das Ventil wieder. Sie mußten jetzt jeden Augenblick erwarten, daß das Ende des Schlepptaus die Oberfläche des Wassers berühre. Der Ballon näherte sich seiner Gleichgewichtslage.

Grunthe blickte durch das Relieffernrohr direkt nach unten, da es durch dieses Instrument möglich war, den breiten Sackanker am Ende des Schleppgurts zu sehen und den Abstand desselben vom Boden zu schätzen. Plötzlich griff er mit größter Hast zur Seite, erfaßte den nächsten Gegenstand, der ihm zur Hand war – es war das Futteral mit den beiden noch gefüllten Champagnerflaschen – und schleuderte es in großem Bogen zum Korbe hinaus.

Sakri, was fällt ihnen ein, rief Saltner entrüstet, werfen da unsern saubern Wein ins Wasser.

Entschuldigen Sie, sagte Grunthe, indem er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichtete, da er an der Bewegung der Wimpel bemerkte, daß der Ballon wieder im Steigen begriffen war. Entschuldigen Sie, aber das Fernrohr konnte ich doch nicht hinauswerfen, und es war keine halbe Sekunde zu verlieren – wir wären wahrscheinlich verloren gewesen.

Was gab es denn? fragte Torm besorgt.

Wir sind nicht mehr über dem Wasser, sondern bereits am Rande der Insel. Das Ende des Seils war wohl kaum weiter als zehn Meter von der Oberfläche der Insel entfernt. Wir hätten sie berührt, wenn nicht das Sinken des Ballons momentan aufgehört hätte. Glücklicherweise genügten die Flaschen, unsern Fall aufzuhalten.

Und glauben Sie denn, daß wir die Insel nicht berühren dürfen?

Ich glaube es nicht, ich weiß es.

Wieso?

Wir wären hinabgezogen worden.

Ich kann noch nicht einsehen, woraus Sie das schließen.

Sie haben mir doch beigestimmt, sagte Grunthe, daß wir es nicht darauf ankommen lassen dürfen, in die Macht der unbekannten Wesen – sie mögen nun sein, wer sie wollen – zu geraten, welche diesen unerklärlichen Apparat und diese Kolossalkarte am Nordpol hergestellt haben. Es ist aber wohl keine Frage, daß dieser Apparat, an den wir mehr und mehr herangezogen werden, nicht sich selbst überlassen hier stehen wird. Sicherlich ist die Insel bewohnt, es befinden sich die geheimnisvollen Erbauer wahrscheinlich in oder unter jenen Dächern und Pfeilern, die wir mit unsern Fernrohren nicht durchdringen können. Es ist anzunehmen, daß sie unsern Ballon längst bemerkt haben, und so schließe ich denn, daß sie denselben sofort zu sich hinabziehen würden, sobald unser Schleppseil in das Bereich ihrer Arme gelangt.

Gott sei Dank, rief Saltner, daß Sie den dunkeln Polgästen wenigstens Arme zusprechen; es ist doch schon ein menschlicher Gedanke, daß man ihnen zur Not in die Arme fallen kann.

Torm unterbrach ihn. Ich kann mich immer noch nicht recht dazu verstehen, sagte er, an eine solche überlegene Macht zu glauben. Das widerspräche ja doch allem, was bisher in der Geschichte der Polarforschung, ja der Entdeckungsreisen überhaupt vorgekommen ist. Freilich die Karte –, aber was denken Sie überhaupt über diese Insel? Sie sprachen von einem Apparat, so ein Apparat müßte doch einen Zweck haben–

Den wird er ohne Zweifel haben, wir sind nur nicht in der Lage, ihn zu kennen oder zu begreifen. Denken Sie, daß Sie einen Eskimo vor die Dynamomaschine eines Elektrizitätswerks stellen; daß das Ding einen Zweck hat, wird er sich sagen, aber was für einen, das wird er nie erraten. Wie soll er begreifen, daß die Drähte, die von hier ausgehen, ungeheure Energiemengen auf weite Strecken verteilen, daß sie dort Tageshelle erzeugen, dort schwere Wagen mit Hunderten von Menschen mit Leichtigkeit hingleiten lassen? Wenn der Eskimo sich über die Dynamomaschine äußert, so wird es jedenfalls eine so kindische Ansicht sein, daß wir sie belächeln. Und um nicht diesem unbekannten Apparat gegenüber die Rolle des Eskimo zu spielen, will ich mich lieber gar nicht äußern.

Torm schwieg nachdenklich. Dann sagte er:

Was mich am meisten beunruhigt, ist diese unerklärliche Anziehungskraft, die die Achse der Insel auf unsern Ballon ausübt. Und sehen Sie, seitdem wir kein Gas mehr ausströmen lassen, beginnt der Ballon wieder rapid zu steigen. Dabei wird er fortwährend um das Zentrum der Insel herumgetrieben.

Und wer sagt Ihnen, was geschieht, wenn wir in die Achse selbst geraten? Ich halte unsere Situation für geradezu verzweifelt, aus dem Wirbel können wir nur heraus, wenn wir uns sinken lassen. Dann aber geraten wir in die Macht der unbekannten Insulaner.

Und dennoch, sagte Torm, werden wir uns entschließen müssen.

Alle drei schwiegen. Mit düsteren Blicken beobachteten Torm und Grunthe die Bewegungen des Ballons, während Saltner die Insel mit dem Fernrohr untersuchte. Mehr und mehr verschwanden die Details, die vorher deutlich sichtbar waren, ein Zeichen, daß der Ballon mit großer Geschwindigkeit stieg, auch wenn die Instrumente, ja selbst die zunehmende Kälte, dies nicht angezeigt hätten.

Da – was war das? – auf der Insel zeigte sich eine Bewegung, ein eigentümliches Leuchten. Saltner rief die Gefährten an. Sie blickten hinab, konnten aber mit ihren schwächeren Instrumenten nur bemerken, daß sich helle Punkte vom Zentrum nach der Peripherie hin bewegten. Saltner schien es durch sein starkes Glas, als wenn eine Reihe von Gestalten mit weißen Tüchern winkende Bewegungen ausführte, die alle vom Innern der Insel nach außen hin wiesen.

Man gibt uns Zeichen, sagte er. Sehen Sie hier durch das starke Glas!

Das kann nichts anderes bedeuten, rief Torm, als daß wir uns von der Achse entfernen sollen. Aber so klug sind wir selbst – wir wissen nur nicht wie.

Wir müssen das Entleerungs-Ventil öffnen, sagte Saltner.

Dann ergeben wir uns auf Gnade und Ungnade, rief Grunthe.

Und doch wird uns nichts übrig bleiben, bemerkte Torm.

Und was schadet es? fragte Saltner. Vielleicht wollen jene Wesen nur unser Bestes. Würden sie uns sonst warnen?

Wie dem auch sei – wir dürfen nicht höher steigen, sagte Torm. Wir werden ja geradezu in die Höhe gerissen.

Schon hatten sich alle dicht in ihre Pelze gewickelt.

Warten wir noch, sagte Grunthe, wir sind immer noch gegen hundert Meter von der Achse der Insel entfernt. Die Trübung hat sich genähert, wir kommen in eine Wolkenschicht. Vielleicht gelangt doch der Ballon endlich ins Gleichgewicht.

Unmöglich, entgegnete Torm. Wir haben bereits gegen 4.000 Meter erreicht. Der Ballon war im Gleichgewicht, als das Gewicht des Futterals mit den Champagnerflaschen seine Bewegung zu ändern vermochte. Wenn er jetzt mit solcher Geschwindigkeit steigt, so ist das ein Zeichen, daß uns eine äußere Kraft in die Höhe führt, die um so stärker wird, je mehr wir uns dem Zentrum nähern.

Ich muß es zugeben, sagte Grunthe. Es ist gerade, als wenn wir uns in einem Kraftfeld befänden, das uns direkt von der Erde abstößt. Sollen wir einen Versuchsballon ablassen?

Kann uns nichts Neues mehr sagen – es ist zu spät. Da – wir sind in den Wolken.

Also hinunter! rief Saltner.

Torm riß das Landungsventil auf.

Der Ballon mäßigte seine aufsteigende Bewegung, aber zu sinken begann er nicht.

Die Blicke der Luftschiffer hingen an den Instrumenten. Wenige Minuten mußten ihr Schicksal entscheiden. Das Gas strömte in die verdünnte Luft mit großer Gewalt aus. Brachte dies den Ballon nicht bald zum Sinken, so war es klar, daß sie die Herrschaft über das Luftmeer verloren hatten. Sie befanden sich dann einer Gewalt gegenüber, die sie, unabhängig von dem Gleichgewicht ihres Ballons in der Atmosphäre, von der Erde forttrieb.

Und der Ballon sank nicht. Eine Zeitlang schien es, als wollte er sich auf gleicher Höhe halten, aber die wirbelnde Bewegung hörte nicht auf, die ihn der Achse der Insel entgegentrieb. Diese Achse, daran war ja kein Zweifel, war nichts anderes als die Erdachse selbst, jene mathematische Linie, um welche die Rotation der Erde erfolgt. Immer stärker wurden sie zu ihr hingezogen. Aber je näher sie ihr kamen, um so heftiger wurde der Ballon noch oben gedrängt. Schon begannen sich die körperlichen Beschwerden einzustellen, welche die Erhebung in die verdünnten Luftschichten begleiten. Alle klagten über Herzklopfen. Saltner mußte das Fernrohr hinlegen, vor seinen Augen verschwammen die Gegenstände. Atemnot stellte sich ein.

Es bleibt nichts andres übrig, rief Torm. Die Reißleine!

Grunthe ergriff die Reißleine. Die Zerreißvorrichtung dient dazu, einen Streifen der Ballonhülle in der Länge des sechsten Teils des Ballonumfangs aufzureißen, um den Ballon im Notfall binnen wenigen Minuten des Gases zu entleeren. Aber – die Vorrichtung versagte! Er zerrte an der Leine – sie gab nicht nach. Sie mußte sich am Netzwerk des Ballons verfangen haben. Es war jetzt unmöglich, den Schaden zu reparieren. Der Ballon stieg weiter. Von der Erde war nichts mehr zu sehen, man blickte auf Wolken.

Die Sauerstoffapparate! kommandierte Torm.

Obwohl man die Absicht hatte, sich stets in geringer Höhe zu halten, konnte man doch nicht wissen, ob nicht die Umstände ein Aufsteigen in die höchsten Regionen mit sich bringen wurden. Für diesen Fall hatte man sich mit komprimiertem Sauerstoff zur Atmung versehen. Es war jetzt notwendig, die künstliche Atmung anzuwenden.

Die Forscher fühlten sich neu gestärkt; aber immer furchtbarer wurde die Kälte. Sie merkten, wie ihre Gliedmaßen zu erstarren drohten. Die Nase, die Finger wurden gefühllos, sie versuchten ihnen durch Reiben den Blutzufluß wieder zuzuführen. Der Ballon stieg rettungslos weiter, und zwar immer schneller, je mehr er sich dem Zentrum näherte. Siebentausend – achttausend – neuntausend Meter zeigte das Barometer im Verlauf einer Viertelstunde an. Die größte Höhe, welche je von Menschen erreicht worden war, wurde nun überschritten.

Untätig saßen die Männer zusammengedrängt – sie hatten den künstlichen Verschluß der Gondel hergestellt, da sie nichts mehr am Ballon ändern konnten. Sie vermochten nichts zu tun, als sich gegen die Kälte zu schützen. Kein Mittel der Rettung zeigte sich – ihre Tatkraft begann unter dem Einfluß der vernichtenden Kälte zu erlahmen. Der Flug in die Höhe war unhemmbar – nichts mehr konnte sie retten vor dem Erfrieren – oder vor dem Ersticken. – Was würde geschehen? Es war ja gleichgültig.

Und doch, immer wieder raffte sich der eine oder andere mit Anstrengung aller Willenskräfte auf – noch ein Blick auf die Instrumente – die Thermometer waren längst eingefroren – und – kaum glaublich – das Barometer zeigte einen Druck von nur noch 50 Millimeter, das heißt, sie befanden sich zwanzig Kilometer über der Erdoberfläche. Und jetzt – schien es nicht, als käme der Ballon zu ihnen herab? Die entleerte Seidenhülle senkte sich über die Gondel – die Gondel flog schneller als der Ballon – wie aus einer Kanone geschossen fuhr sie in die Seide des Ballons hinein, die Insassen der Gondel waren verstrickt in das Gewirr von Stoff und Seilen – halb schon bewußtlos bemerkten sie kaum noch den Stoß der sie traf – sie waren in die Achse des von der Insel ausgehenden Wirbels geraten. – –

Sie befanden sich senkrecht über dem Pol der Erde – das Ziel war erreicht, dem sie so hoffnungsfroh entgegengestrebt hatten. Weit unter ihnen im hellen Sonnenscheine lagen die glänzenden Wolkenstreifen und fern im Süden das grünlich schimmernde Land ausgebreitet, die kühnen Forscher aber sahen nichts mehr davon. Ohnmächtig, erstickt – erdrückt von der Last des Ballons, flogen sie, eine formlose Masse bildend, in der Richtung der Erdachse den Grenzen der Atmosphäre entgegen.

Kapitel 3: Die Bewohner des Mars

Unter dem Einfluß der geheimnisvollen Kraft, welche die Trümmer der verunglückten Expedition in der Richtung der Erdachse vom Nordpol forttrieb, hatten sie eine ungeheure Beschleunigung erlangt. Der in die Falten des Ballons hineingetriebene Korb bewegte sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit nach oben. Wenige Minuten mußten genügen, den Tod der Insassen zu bewirken, da der Verschluß der Gondel sie nicht hinreichend zu schützen vermochte.

Nicht mehr von der Erde aus erkennbar schien das seltsame Geschoß einsam und verlassen den Weltraum zu durcheilen, jeder menschlichen Macht entrückt, ein Spielball kosmischer Kräfte – –

Und dennoch war der Ballon der Gegenstand gespanntester Aufmerksamkeit.

Die Beobachter desselben befanden sich auf einer Stelle, wo kein Mensch lebende Wesen vermutet, ja nur eine solche Möglichkeit hätte verstehen können. Daß der Nordpol von unbekannten Bewohnern besetzt sei, war ja äußerst seltsam und überraschend; aber er war doch ein Punkt der Erde, auf welchem lebende Wesen sich aufzuhalten und zu atmen vermochten. Der Ort dagegen, von welchem aus man jetzt auf den verunglückten Ballon aufmerksam wurde, befand sich bereits außerhalb der Erdatmosphäre. Genau in der Richtung der Erdachse und auf dieser genau so weit von der Oberfläche der Erde entfernt wie der Mittelpunkt der Erde unterhalb, also in einer Höhe von 6.356 Kilometer, befand sich frei im Raume schwebend ein merkwürdiges Kunstwerk, ein ringförmiger Körper, etwa von der Gestalt eines riesigen Rades, dessen Ebene parallel dem Horizont des Poles lag.

Dieser Ring besaß eine Breite von etwa fünfzig Metern und einen inneren Durchmesser von zwanzig, im ganzen also einen Durchmesser von 120 Metern. Rings um denselben erstreckten sich außerdem, ähnlich wie die Ringe um den Saturn, dünne, aber sehr breite Scheiben, deren Durchmesser bis auf weitere zweihundert Meter anstieg. Sie bildeten ein System von Schwungrädern, das ohne Reibung mit großer Geschwindigkeit um den inneren Ring herumlief und denselben in seiner Ebene stets senkrecht zur Erdachse hielt. Der innere Ring glich einer großen kreisförmigen Halle, die sich in drei Stockwerken von zusammen etwa fünfzehn Metern Höhe aufbaute. Das gesamte Material dieses Gebäudes wie das der Schwungräder bestand aus einem völlig durchsichtigen Stoffe. Dieser war jedoch von außerordentlicher Festigkeit und schloß das Innere der Halle vollständig luft- und wärmedicht gegen den leeren Weltraum ab. Obwohl die Temperatur im Weltraum rings um den Ring fast zweihundert Grad unter dem Gefrierpunkt des Wassers lag, herrschte innerhalb der ringförmigen Halle eine angenehme Wärme und eine zwar etwas stark verdünnte, aber doch atembare Luft. In dem mittleren Stockwerk, durch welches sich ein Gewirr von Drähten, Gittern und vibrierenden Spiegeln zog, hielten sich auf der inneren Seite des Rings zwei Personen auf, die sich damit beschäftigten, eine Reihe von Apparaten zu beobachten und zu kontrollieren.

Wie aber war es möglich, daß dieser Ring in der Höhe von 6.356 Kilometern sich freischwebend über der Erde erhielt?

Eine tiefreichende Erkenntnis der Natur und eine äußerst scharfsinnige Ausbildung der Technik hatten es verstanden, dieses Wunderwerk herzustellen.

Der Ring unterlag natürlich der Anziehungskraft der Erde und wäre, sich selbst überlassen, auf die Insel am Pol gestürzt. Gerade von dieser Insel aus aber wirkte auf ihn eine abstoßende Kraft, welche ihn in der Entfernung im Gleichgewicht hielt, die genau dem Halbmesser der Erde gleichkam. Diese Kraft hatte ihre Quelle in nichts anderem als in der Sonne selbst, und die Kraft der Sonnenstrahlung so umzuformen, daß sie jenen Ring der Erde gegenüber in Gleichgewichtslage hielt, das eben hatte die Kunst einer glänzend vorgeschrittenen Wissenschaft und Technik zustande gebracht.

In jener Höhe, einen Erdhalbmesser über dem Pol, war der Ring ohne Unterbrechung der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Die von der Sonne ausgestrahlte Energie wurde nun von einer ungeheuren Anzahl von Flächenelementen, die sich in dem Ringe und auf der Oberfläche der Schwungräder befanden, aufgenommen und gesammelt. Die Menschen verwenden auf der Erdoberfläche von der Sonnenenergie hauptsächlich nur Wärme und Licht. Hier im leeren Weltraum aber zeigte sich, daß die Sonne noch ungleich größere Energiemengen aussendet, insbesondere Strahlen von sehr großer Wellenlänge, wie die elektrischen, als auch solche von noch viel kleinerer als die der Lichtwellen. Wir merken nichts davon, weil sie zum größten Teile schon von den äußersten Schichten der Atmosphäre absorbiert oder wieder in den Weltraum ausgestrahlt werden. Hier aber wurden alle diese sonst verlorenen Energiemengen gesammelt, transformiert und in geeigneter Gestalt nach der Insel am Nordpol reflektiert. Auf der Insel wurden sie, in Verbindung mit der von der Insel direkt aufgenommenen Strahlung, zu einer Reihe großartiger Leistungen verwendet; denn man hatte auf diese Weise eine ganz enorme Energiemenge zur Verfügung.

Ein Teil dieser Arbeitskraft wurde nun zunächst dazu gebraucht, ein elektromagnetisches Feld von gewaltigster Stärke und Ausdehnung zu erzeugen. Die ganze Insel mit ihren hundertvierundvierzig Rundbastionen stellte gewissermaßen einen riesigen Elektromagneten vor, der von der Sonnenenergie selbst gespeist wurde. Die Konstruktion war so angelegt, daß die Kraftlinien sich um den Ring konzentrierten und dieser, der Schwerkraft entgegen schwebend gehalten wurde. Daß dies genau in der Entfernung des Erdhalbmessers vom Pole geschah, hing mit einer Beziehung zwischen Elektromagnetismus und Schwere zusammen, infolge deren sich gerade an dieser Stelle eine Art Knotenpunkt für die Wellenbewegung beider Kräfte zu bilden vermochte und das Gleichgewicht ermöglichte.

Allerdings wurde durch eine Reihe komplizierter und höchst scharfsinnig ausgedachter Kontrollapparate dafür gesorgt, daß alle Schwankungen der Energiemengen zur rechten Zeit ausgeglichen wurden. Einen solchen Apparat aufzustellen wäre indessen an keinem anderen Punkte der Erde möglich gewesen als in der Verlängerung ihrer Rotationsachse, also über dem Nordpol oder über dem Südpol. Denn an jeder andern Stelle hätte, abgesehen von tieferliegenden Schwierigkeiten, die Verschiebung der Erdoberfläche infolge der täglichen Umdrehung der Erde unüberwindbare Hindernisse für die Herstellung des Gleichgewichts zwischen der Schwerkraft und dem Elektromagneten geboten; auch hätte die gleichmäßige Sonnenstrahlung gefehlt. Der Pol bietet aber in jeder Hinsicht die einfachsten Verhältnisse wenn es gelingt, bis zu ihm zu gelangen.

Nun, die unübertroffenen Ingenieure der Insel und des Ringes waren einmal da. Aber wo kamen sie her? Wie waren sie dorthin gelangt, ohne daß die internationale Kommission für Polarforschung die geringste Ahnung davon hatte? Und vor allem – wenn sie einmal da waren –, was hatte es für einen Zweck, jenen freischwebenden Ring über dem Pol zu balancieren? Und wenn einmal jener Ring da war, wie konnte man hinauf- und hinabkommen?

Jener Ring war überhaupt nur ein Mittel, um einen ganz andern Zweck zu erreichen. Er diente dazu, einen Standpunkt außerhalb der Atmosphäre der Erde zu gewinnen, eine Station, um zwischen dieser und der Erde nichts Geringeres auszuführen, als – eine zeitweilige Aufhebung der Schwerkraft. Der Raum zwischen der inneren Öffnung des Ringes von zwanzig Metern Durchmesser und der auf der Insel sich befindenden Vertiefung, also ein Zylinder, dessen Achse genau mit der Erdachse zusammenfiel, war ein ›abarisches Feld‹. Dies bedeutet, ein Gebiet ohne Schwere. Körper, welche in diesen zylindrischen Raum gerieten, wurden von der Erde nicht mehr angezogen. Dieses abarische Feld bewirkte, daß in der ganzen Umgebung des Feldes Spannungen im Raum vorhanden waren, wodurch etwa sich nähernde Körper in das Feld getrieben wurden. Daher war es gekommen, daß der Ballon der Luftschiffer allmählich der Insel und damit dem abarischen Felde unentrinnbar zugeführt worden war.

Die Erzeugung jenes Feldes, in welchem die Schwerkraft aufgehoben war für den inneren Raum zwischen Insel und Ring, war dadurch möglich gemacht worden, daß man eine der Erdschwere entgegengesetzt gerichtete Gravitationskraft herstellte. Es war jenen Polbewohnern bekannt, wie man diejenigen Strahlen, welche hauptsächlich chemische Wirkung, Wärme und Licht liefern, in Gravitation überführen kann. Sie wurden zu diesem Zweck bis in den inneren Teil des Ringes geleitet und traten hier in den ›Gravitationsgenerator‹. Dies war ein Apparat, durch welchen man Wärme in Gravitation umwandelte. Ein zweiter, ebenso eingerichteter Gravitationserzeuger befand sich in der zentralen Vertiefung im Inneren der Insel. Beide Apparate wirkten derartig zusammen, daß die Beschleunigung der Schwerkraft im Inneren zwischen Insel und Ring beliebig reguliert werden konnte. Man konnte sie entweder nur verringern, oder ganz aufheben – dann war das abarische Feld im eigentlichen Sinne hergestellt –, oder man konnte die Gegenschwerkraft so verstärken, daß die Körper innerhalb des abarischen Feldes ›nach oben fielen‹, das heißt, eine beliebig starke Beschleunigung entgegengesetzt der Erdschwere, also von der Erde fort, erhielten. Auf diese Weise war es möglich, mit jeder gewünschten Geschwindigkeit Körper zwischen der Insel und dem Ringe sowohl von unten nach oben als von oben nach unten in Bewegung zu setzen, indem man sie in einen zu diesem Zweck konstruierten Flugwagen einschloß.

Es war nun die schwierige Aufgabe der Ingenieure an den beiden Endstationen, den Betrieb so zu regulieren, daß jedesmal das abarische Feld die nötige Stärke besaß, um den Wagen nach oben zu treiben oder in seiner Bewegung aufzuhalten.

Als der Ballon der Polarforscher in das abarische Feld geriet, war dasselbe gerade auf ›Gegenschwere‹ gestellt, weil sich ein Flugwagen auf dem Wege von der Insel nach dem Ringe befand. Infolgedessen wurde der nach dem abarischen Felde hingedrängte Ballon, sobald er in die Achse desselben geraten war, mit großer Geschwindigkeit in die Höhe gerissen.

Äußerlich unterschied sich das Feld von der umgebenden Luft in gar nichts. Nur ein starker aufsteigender Luftstrom und infolgedessen ein seitliches Zuströmen der Luft war natürlich vorhanden. Aber bei dem geringen Durchmesser des Feldes von zwanzig Metern war die in die Höhe getriebene Luftmasse so gering, daß es dadurch nicht zu einer merklichen Nebel- oder Wolkenbildung kam, zumal vom Ringe wie von der Insel aus eine so starke Bestrahlung stattfand, daß der sich etwa kondensierende Wasserdampf sofort wieder in Gasform aufgelöst wurde.

Solange der Ballon sich noch in den Luftschichten bis ein oder zwei Kilometer befand, konnte das Ausströmen des Gases sein Aufsteigen einigermaßen verzögern. Dann aber wurde die Beschleunigung zu groß. Die Gondel, welche sich im Zentrum des Feldes befand, erfuhr dabei eine größere Beschleunigung nach oben als der an Masse zwar geringere, an Ausdehnung aber soviel größere Ballon. Denn da der Durchmesser des Ballons zwanzig Meter übertraf, so ragte er zum Teil über das abarische Feld hinaus. Erst als er durch den Verlust an Gas zusammengesunken war, geriet er ganz in das abarische Feld, und nun begann jener kolossal beschleunigte ›Fall nach oben‹, der den Ballon binnen einer Viertelstunde auf tausend Kilometer emporgerissen hätte, wenn er nicht zum Glück nach kaum einer Minute aufgehalten worden wäre.

Als die Ingenieure der Insel den Ballon bemerkten, hatten sie zunächst versucht, ihn durch Ergreifung des Schleppgurts festzuhalten. Dies hatte Grunthe durch das Hinauswerfen der Champagnerflaschen verhindert, da er jede Berührung der Insel vermeiden wollte. So war der Ballon so weit gestiegen, daß er nicht mehr ergriffen werden konnte, aber er war dadurch dem abarischen Felde unrettbar überliefert. Hier hätten ihn nun die Bewohner der Insel freilich sogleich aufhalten und zurückführen können, wenn sie die ›Gegenschwere‹ im Felde abgestellt hätten. Dies war ihnen jedoch darum nicht möglich, weil sich oberhalb des Ballons, längst nicht mehr sichtbar, ihr eigener Flugwagen befand. Sie konnten also nicht eher eine Veränderung am Feld vornehmen, als bis ihr Wagen an der Station des Ringes angekommen war. Zum Glück für die Insassen des Ballons mußte dies in kürzester Zeit geschehen.

Inzwischen hatten aber auch die Ingenieure auf dem Ring, obwohl sie den Ballon nicht sehen konnten, doch an ihren Gravitationsmessern eine Störung im abarischen Felde wahrgenommen. Sie sandten daher vom Ring eine Depesche nach der Insel.

Diese Übermittlung bot keine Schwierigkeit, denn sie verstanden es, die Lichtstrahlen selbst als Träger für ihre Depeschen zu benutzen. Der Raum zwischen Ring und Insel gestattete dies infolge der intensiven Bestrahlung auch beim feuchtesten Wetter.

Sie telegraphierten nicht nur, sie telefonierten vermöge des Lichtstrahls. Die elektromagnetischen Schwingungen des Telephons setzten sich in photochemische um und wurden auf der andern Station sofort am Apparat abgelesen. Während die unglücklichen Luftschiffer, von der Seide des Ballons eingehüllt, ihre blitzschnelle Fahrt auf der Erdachse vollführten, ging an ihnen eine Depesche vom Ring nach der Insel vorüber, welche lautete:

E najoh. Ke.

Und von der Insel wurde zurückdepeschiert:

Bate li war. Tak a fil.

Man hätte freilich alle bekannten Sprachen der Erde durchgehen können, ohne in irgendeiner diese Sätze zu finden. Sie bedeuten:

Achtung! Störung! Was ist vorgefallen?

Und die Antwort lautete:

Menschen im abarischen Feld. Abstellen sobald als möglich.

Der Empfänger dieser Depesche stand in der Beobachtungsabteilung des schwebenden Ringes und kontrollierte die Apparate, welche daselbst an einem großen Schaltbrett angebracht waren. Der Zeiger am Differenzialbaroskop wies ihm genau die Stelle, wo sich der Flugwagen im Augenblick befand. Schon war dieser nahe herangekommen. Einige Handgriffe des Beamten regulierten die Geschwindigkeit des Wagens, der nach wenigen Minuten auf der Endstation erschien. Das vorspringende Fangnetz hielt ihn auf, er ruhte an seinem Ziel.

Der Beamte – es war der Vorsteher der Außenstation selbst – namens Fru, hatte bis jetzt keinen Blick von den Apparaten verwandt. Man hätte ihn für einen alten Mann halten mögen, denn langes, fast weißes Haar flatterte um seine Schläfe. Eine ungewöhnlich hohe Stirn wölbte sich über den großen Augen, deren Pupillen einen tiefen Glanz zeigten. Die Haltung des Körpers aber war frei und leicht. Gewandt bewegte er sich an dem langen Schaltbrett entlang von einem Apparat zum andern, seine Schritte glichen fast einem Gleiten über den Boden. Er war offenbar daran gewöhnt, daß die Schwerkraft eine viel geringere war als auf der Erde. Denn hier, in der doppelten Entfernung vom Mittelpunkt der Erde als deren Oberfläche, betrug die Schwere nur ein Viertel von der uns gewohnten.

Die Tür des Flugwagens wurde jetzt geöffnet. Der Vorsteher der Ringstation warf nur einen flüchtigen Blick dorthin und wandte sich dann wieder den Apparaten zu, um nach dem Pol zu telegraphieren, daß das abarische Feld frei sei.

Die Fahrgäste verließen den Wagen und betraten die Galerie. Es mochten achtzehn Personen sein, in seltsamer Tracht, mit eng anliegenden Kleidern. Ihre bedeutenden Köpfe zeichneten sich meist durch sehr helles, fast weißes Haar und glänzende, durchdringende Augen aus, die aber jetzt durch dunkle Brillen geschützt waren. Sie durchschritten die Galerie, deren Überschrift in jener fremden Sprache besagte, daß man sich auf der ›Außenstation der Erde‹ befinde, und wandten sich über eine Treppe der Ausgangstür nach der oberen Galerie zu. Über der Tür stand in großen Buchstaben: ›Vel lo nu‹, das bedeutet: ›Zum Raumschiff nach dem Mars.‹

Jener schwebende Ring war nichts anderes als der Marsbahnhof der Erde. Er war eine Station in der Nähe der Erde, durch deren Erbauung es den Bewohnern des Planeten Mars möglich geworden war, zwischen ihrem Planeten und der Erde eine regelmäßige Verbindung herzustellen. Die Fahrgäste des Flugwagens waren Martier, die nach ihrer Heimat zurückkehren wollten.